Autonome Region Kurdistan (Irak), 28.8.-6.9.2013

Kurdistan (Irak) | 29. September 2013 16:53

Es ist eine Weile her als wir das erste Mal hörten dass man den Norden vom Irak, die Autonome Region Kurdistan, trotz der Reisewarnungen die für den Rest des Landes bestehen, sicher bereisen kann. Dies machte uns neugierig und nach einiger Recherche war klar das wir Kurdistan mit in unsere Reiseroute aufnehmen.

Die Autonome Region Kurdistan hat seine eigene Regierung, Flagge, Militär, Polizei und eigene Sprache.

die Kurdistan Flagge (links) neben Irakischer Flagge

die Kurdistan Flagge (links) neben Irakischer Flagge

Da man von Kurdistan ja noch nicht so viel gehört hat waren wir entsprechend gespannt darauf was uns erwartet. An der Grenze waren die Formalitäten schnell erledigt und binnen 30 Minuten hatten wir den Kurdistan Stempel im Pass, gültig für 15 Tage. Das Schreiben bezüglich unserer Räder und sonstiger Sachen die wir mit ins Land nahmen gab es vom Chef persönlich unterschrieben hinzu und den dazu gehörigen Trubel um den Kurden der auf einem Fahrrad einreist natürlich auch.

Direkt nach der Grenze wurde wir von Hadi erwartet. Wir hatten ihn bereits auf unserem Weg durch die kurdischen Gebiete in der Türkei kennengelernt. Wir folgten ihm mit unseren Rädern zu seinem Haus in der Grenzstadt Zahok. Wie auch schon in der Grenzstadt Silopi auf der türkischen Seite flogen auch hier auf einmal Steine. Wir drehten uns um uns sahen auf einer Anhöhe eine Gruppe Jungs stehen die sich offensichtlich einen Spaß daraus machten. Als Mete anhielt und ebenfalls drohte Steine zurückzuwerfen liefen sie weg.

Keine 50 Meter von Hadis Haus entfernt ging es über eine kleine Asphaltstrasse über die etwas Wasser entlangfloss. Mete wollte sich gerade zu Dagmar umdrehen um sie zu warnen wie rutschig der Weg war und im selben Moment rutschten seine Räder unter ihm weg. Im großem Bogen landete er auf dem Asphalt und war von oben bis unten verdreckt mit einem Gemisch aus Matsch, Wasser und Schleim…. Dagmar sah voller Schreck seinen stuntmenreifen Flug und wollte zur Hilfe eilen und in dem Moment als sie ihr Fahrrad abstellen wollte rutschte auch dieses unter ihr weg und landete in diesem komischen Dreck-Wasser-Schleim-Gemisch. Zum Glück blieb wenigstens sie auf den Beinen. Unser Gastgeber erklärte uns dass sich dieses Strässchen in der Nähe eines Frochtümpels befindet und daher wohl so schmierseifenglatt sei.

Zum Glück schien sich Mete erstmal nichts weiteres getan zu haben aber die nächsten Tage bekam er dann doch noch ganz schön Schmerzen an seiner linken Seite. Zum Glück hatte er seinen Helm auf denn den Schlammspuren nach zu urteilen hätte er wohl sonst mit seinem Kopf statt mit dem Helm den Asphalt geküsst.

Die Familie war sehr gastfreundlich und es wurde sehr darauf geachtet dass es uns an nichts fehlt. Auffällig war dass die Männer und Frauen der Familie wohl sehr getrennt leben. So wurde Mete mit den Männern in einen Raum geführt während Dagmar bei den Frauen in einem anderen Raum verblieb. Nur die Mahlzeiten wurden zusammen eingenommen.

mit Hadis Familie

mit Hadis Familie

mit Hadis Frau im Garten

mit Hadis Frau im Garten

Am Nachmittag kam dann ein Team vom lokalen Fernsehsender ins Haus um uns zu interviewen. Einen Mitschnitt hiervon haben wir natürlich noch nicht aber falls wir noch einen bekommen sollten wird dieser natürlich auch in die Medienrubrik hinzugeführt.

Fernsehinterview

Fernsehinterview

Bei unserer Weiterfahrt Richtung Duhok waren wir sehr angetan von der Freundlichkeit der Leute hier. Alle Nase lang wurde uns Wasser aus dem Auto gereicht oder die Verkehrspolizei hielt uns welches zu und zigmal wurden wir von den Leuten nach Hause eingeladen. Die vielen Einladungen konnten wir natürlich nicht annehmen aber als uns der Sivan, ein Polizist der uns an einer Bushaltestelle abkühlen sah, anhielt und einlud doch mit zu ihm zu kommen und uns bei ihm über die Mittagshitze etwas abzukühlen nahmen wir die Einladung dann auch gerne an.

Als wir dann etwa 500m vor seinem Hause entlang fuhren gab es auch schon ein Empfangskomitee von den Kindern der Gegend, natürlich mit Steinen in der Hand :-) Wir hielten an und Mete fragte einen der Jungs (vielleicht 10-11 Jahre alt) was er denn in der Hand hätte? Da gab es vom daneben stehenden älteren Jungen (12-13 Jahre alt) wie auf Knopfdruck erstmal patsch einen auf den Hinterkopf. Als dann Sivan ermahnend meinte: “Sowas macht ihr doch nicht etwa, oder?”, gab es patsch die nächsten Hiebe vom Älteren. Ts ts ts, diese Kids….

Als wir dann bei Sivan einkehrten wurden wir auch schon von der ganzen Familie erwartet und am liebsten hätten wir eine Livecam dabei damit Ihr seht wie so etwas aussieht wenn man zu Gast bei den Kurden ist. Wirklich farbenfroh und extrem freundlich.

bei Sivans Familie

bei Sivans Familie

Einige Stunden und etliche Begegnungen später hielt an der Straße ein Jeep und wir wurden von 2 Männern erwartet. Casey, ein Amerikaner mit südkoreanischen Wurzeln, war begeistert 2 Leute auf dem Rad zu sehen und lud uns ein die Nacht bei ihm und seiner Familie in Duhok zu verbringen. So fanden wir am Abend auch den beschriebenen Weg und wurden dann von Casey und seiner Frau Hanna und Sohn Daniel erwartet. Die Nachbarschaft durfte natürlich nicht fehlen und Casey bestätigte uns das seine Nachbarn uns auch am liebsten bei sich zu Hause empfangen würden. Casey und seine Familie haben es uns sehr angetan und Mete so richtig schön eifersüchtig gemacht ;-) denn alle drei sprechen fließend Kurdisch!! Daniel ist gerade mal 6 Jahre alt und könnte Kurdisch schon unterrichten. Also Hut ab liebe Freunde.

mit Casey, Hanna und Daniel

mit Casey, Hanna und Daniel

Der weitere Verlauf der Strecke bis zum Grenzübergang bei Piranshahr (Iran) erinnerte uns sehr an den Titel des Karl May Buches “Durchs wilde Kurdistan”. So lernten wir neben vielen netten Menschen auch die Schattenseiten der Irak-kurdischen Gesellschaft kennen. Man muss sich vorstellen in einer Gesellschaft in der sich die Frauen hauptsächlich in den eigenen vier Wänden und voll eingepackt aufhalten und die Männer mit ihren hochmodernen großen weißen Schlitten durch die Gegend kurven fallen wir mit unseren Drahteseln auf wie bunte Hunde und ziehen natürlich alle Aufmerksamkeit auf uns. Vor allem dass Dagmar als Frau so offen in der Gegend mit dem Fahrrad herumfährt haben vermutlich viele nicht verstanden. Entsprechend merken wir bald dass wenn uns ein Auto auf der Strasse stoppt sie entweder nur nett fragen wollen wo wir herkommen, Hilfe bräuchten etc…..oder sie hauptsächlich einen Blick auf Dagmar erhaschen und wenn möglich noch ein Foto bekommen möchten um es dann vermutlich in ihrem Facebook zu präsentieren. Das letzere wurden diesen Leuten aber von Mete dann nicht erlaubt. So staunten auch “heimlich” Bewaffnete nicht schlecht als Mete ihnen sagte ‘ein Foto mit ihm sei Ok aber nicht mit seiner Frau!’ und verabschiedeten sich auch entsprechend respektvoll. Wir versuchten unser Verhalten also anzupassen was nicht immer sehr einfach war. Aber es funktioniert später ganz gut indem Dagmar z.b. wenn wir von Autofahrern angehalten wurden einige Meter vorfuhr oder ein paar Meter zurück blieb so dass Mete erstmal in Ruhe die Lage checken konnte. Wenn dann nette Familien drin saßen konnte Dagmar ja immer noch näher kommen.

Mete gehen vor allem die Militärkontrollen auf den Keks denn bei allen Kontrollen ab Duhok wird klar die lassen uns nur anhalten und die Pässe vorzeigen damit sie uns in Ruhe (vor allem Dagmar) angaffen können.

Lustig war wenn wir manchmal von einem Auto mit einer Truppe Männer überholt wurden und kurz danach eine Motorpanne oder ähnliches vorgetäuscht wurde nur um etwas länger gucken zu können. Man muss sich das so vorstellen: Etwa 50-100 Meter vor uns wird angehalten, alle steigen aus, die Motorhaube geht auf, dann werden wir beobachtet bis wir vorbei sind. Dann sehen wir durch den Rückspiegel wie die Motorhaube wieder zu geht ohne dass irgendetwas angefasst wurde, alle steigen wieder ein und man fährt zum Abschluss nochmal in langsamen Tempo an uns vorbei so als ob wir das nicht merken würden. Man hätte ja auch einfach kurz freundlich grüßen können und fragen wo wir hier sind….

Auf einem Abschnitt irgendwo hinter Acre passieren wir eine kleinere Ortschaft und fühlen uns ganz und gar nicht willkommen. Die Strasse wird gerade neu asphaltiert. Alles ist staubig und es herrscht viel Verkehr auf der einspurigen Durchfahrt. Gleichzeitig ist im Ort viel los, vor allem viele Jungs jeden Alters sind auf der Strasse und wieder fliegen Steine und Obst nach uns. Ein junger Mann fragt uns in relativ gutem Englisch ob wir irgendwas bräuchten. Als Mete ihn dann fragt warum die Jungs mit Steinen nach uns schmeißen will das aber auf einmal niemand mehr verstehen… Inzwischen haben wir über 30 Jungs und Männer um uns herum aber die lassen uns dann nachdem wir unsere Wasservoräte aufgetankt haben wieder von dannen ziehen, diesmal ohne fliegende Steine.

Das der Apfel ja bekanntlich nicht weit vom Stamm fällt zeigt folgendes Beispiel: Wir kühlen uns gerade in einer schattenspendenen Bushaltestelle ab als neben uns ein Lastwagen anhält. Ein Mann steigt aus und spricht Mete nett an. Plötzlich fliegen wieder mal Bonbons nach uns. Mete dachte diese kämen vom vorbei fahrenden Pickup, aber dem war wohl nicht so. Verstanden haben wir es, als der Mann wortlos weg ging und seine Jungs von dem Lastwagen zerrte und verprügelte. Zum Glück hat er den Hammer den er schon in der Hand hatte wieder weg gelegt. Schlauer wäre es ja gewesen die Jungs zum entschuldigen vorsprechen zu lassen.

Die Campingplatzsuche gestaltet sich am Ende diesen Tages schwierig aber zum Glück treffen wir vor einem kleinen Lädchen einen Peschmerga der uns unser Nachtlager neben seinem Haus gerne aufstellen ließ. Ein Wort von ihm genügte und die Kids in den Häusern drum herum sind auf einmal schüchtern und wohl erzogen und wissen dass man auf die Fremden keine Steine schmeißt. Diesmal wird die Schafherde auf dem Nachbarfeld als Zielscheibe genommen. Wir gewinnen den Eindruck für viele der Kids ist dies nur ein Zeitvertreib um der Langeweile zu entkommen denn Spielsachen sehen wir nirgendwo. Eine Tochter des Peschmergas erzählt uns später bei einem Tee dass dieser mit zwei Frauen verheiratet ist die in unterschiedlichen Häusern wohnen. Auch dies scheint hier auf dem Lande in Kurdistan normal zu sein.

Camp beim Peschmerga

Camp beim Peschmerga

Camp beim Peschmerga

Camp beim Peschmerga

Am nächsten Tag erreichen wir eine Schlucht und nach und nach schlängelt sich der Weg in die Berge was zum Glück ein paar Grad weniger Temperatur bedeutet und auch die Menschen sind hier wieder netter und gastfreundlicher zu uns.

entlang der Schlucht

entlang der Schlucht

immer berghoch

immer berghoch

Begegnung mit dem Innenminister von Kurdistan

Begegnung mit dem Innenminister von Kurdistan

Kleiner Schwatz mit einer Gruppe Jungs die gerade Wahlkampfwerbung machen

Kleiner Schwatz mit einer Gruppe Jungs die gerade Wahlkampfwerbung machen

Schwatz mit türkischen Strassenbauingeneur

Schwatz mit türkischen Strassenbauingeneur

Kurdisches Dorf

Kurdisches Dorf

Nette Begegnung mit Familie aus Erbil

Nette Begegnung mit Familie aus Erbil

In den Bergen

In den Bergen

Gegenverkehr

Gegenverkehr

Nette Begegnung unterwegs

Nette Begegnung unterwegs

Am Abend wurde es uns untersagt unser Zelt auf dem gewünschten Platz aufzustellen. Stattdessen bekamen wir das Gästezimmer zugeteilt und wurden erstmal ins Wohnzimmer zum Abendessen beordert.

bei der gastfreundlichen Familie

bei der gastfreundlichen Familie

bei der gastfreundlichen Familie

bei der gastfreundlichen Familie

Im grossen Ganzen war Kurdistan doch sehr interresant, gastfreundlich und eine imposante Erfahrung die wir nicht missen möchten. Im Nachhinein denken wir uns die ein oder andere Situation mit gaffenden Männern vielleicht vermieden worden oder zumindest erfreulicher gewesen wäre wenn Dagmar eventuell ein Kopftuch und eine langes Oberteil getragen hätte, nur wie dies bei 46° im Schatten auf dem Fahrad möglich sein soll ohne zwischendurch in Ohnmacht zu fallen bleibt uns nach wie vor ein Rätsel.

Was man uns hier wohl mitteilen wollte???

Was man uns hier wohl mitteilen wollte???